Von Mord und Flauten
01 July 2014 | 930nm vor Horta, Azores (Bergfest) / der 9. Tag auf See
Speedy
Dramatische Ereignisse veranlassten mich, erst jetzt in den Nachmittagsstunden unseres neunten Segeltages zu schreiben. Es ist 16.30h Bordzeit (19.30h UTC) und ich habe gerade eine wunderbare Tasse Kaffee und ein herrliches selbstgebackenes Schokomuffin in dem sonnigen Cockpit genossen. Danina schaukelt gemuetlich, die Laune ist Bergfest-entspechend gut, doch verschiedenste Windprognosen wollen die maennliche Besatzung verunsichern: Wir erleben seit etwa 20 Stunden eine gemeine Flaute, die nichtmal unser Genacker zu verwandeln vermag, sondern die sich einfach tiefenentspannt oder laestig - je nachdem, wie es einem gerade geht - ueber uns und den gerade von uns besegelten Atlantikabschnitt legt. Der Motor muss leider laufen, und die Segel wurden geborgen. Allerdings ist die Situation nicht wirklich dramatisch, denn wir koennen noch einige Meilen motoren, weil sowohl die Kraftstoffreserven fuer Danina als auch die fuer uns noch beruhigend vorhanden sind - einzig der Kaffee...
Der Mord: Das Opfer war ein kleines suessen Federvieh, das Michi heute in seiner Morgenwache auf dem Laufdeck entdeckt hatte. Eine Blutlache daneben. Nachdem Michi Speedy und mich bei meinem zweiten Wachantritt um 6h ueberzeugend bedrueckt informiert hatte, und uns umgehend das Opfer gezeigt hatte, schlossen wir beide seine Taeterschaft sofort aus. Dennoch blieben wichtige Fragen offen: Wie kam der Tod zustande und was fuer ein Voegelchen wars? Zunaechst wurde das arme Federvieh sofort seebestattet, und dann wurde geraetselt, denn das Vieh war kopflos und Speedy blaetterte zum Fruehstueck in einem unserer Naturkundefuehrer nach einem aehnlich ausssehenden Vogel. Natuerlich nicht nach einem kopflosen Vogel, obwohl uns eine Vogelart (auf Seite 12 unseres Buches "Pelagic Birds of the North Atlantic) besonders wegen ihres Namens am allerwahrscheinlichsten erschien: Barolo Shearwater - das ist der einzige Name einer Vogelart, die mit unserem gekoepften Objekt sinnhaft in Verbindung gebracht werden koennte. Leider hatten wir kein geleichnamiges Getraenk an Bord, sodass wir uns weiterhin fokusiert mit dem Tathergang und der Opferbestimmung auseinandersetzten. Inzwischen hatte ich naemlich auch den Kopf gefunden, der in eines der Abflussroehrchen an Deck (den Speihgats) gerutscht war, und den ich waehrend meiner Wache unter einigen Ueberwindungen geborgen und gleich daraufhin ebenfalls seebestattet hatte. Allerdings war der Tathergang bald relativ klar, denn der Moerder des kleinen Vogels ist Silentwind, unser Windgenerator, der es nicht einmal fuer noetig hielt, die Restfedern, die bei dem brutalen Schnitt durch das Kehlchen des Piepmatzes, an einem der Rotorblaetter haengengeblieben waren, zu entfernen. Ein boeses Minus fuer die Windturbinenindustrie! Bei unserer Artenbestimmung einigten wir uns auf einen Vogel, der in dem Buch als Little Auk bezeichnet wird. Das nette an diesen Voegeln ist naemlich, das die uns bisher jede Nacht hoerbar begleitet hatten. Zunaechst dachte ich, es waeren pfeifende Delfine, dann dachte ich, ich bilde mit auf Grund meines Scopolaminpflastern hinter dem Ohr Geraeusche ein, dann berichteten die Maenner, dass auch sie ein Pfeifen in der Nacht gehoert hatten (und zumindest Speedy ist nicht mit Scopolamin gedoped), und erst heute Morgen berichtet Michi, dass die Voegelchen tatsaechlich wie wild hinter der Danina hinterherschwirren und piepsen und zwitschern. Dabei muss dieser grausige Mord wohl passiert sein.
Das Bergfest: Trotz all dieser heftigen Eindruecke sind wir wohl Gemutes, denn wir haben meilenmaessig die Haelfte geschafft und es stehen uns in den naechsten Tagen keine Stuerme ins Haus/ Boot. Es koennte zwar ein bisschen weniger flautig sein, ein Barolo duerfte auch dahergeflogen kommen, aber rundummadum samma z'fried'n, wie manch ein Bayer sagen wuerde.
Morgen wieder Neues.