Charleston
Charleston ist schön. Achtmal hintereinander gewann es den ersten Preis für die schönste Stadt der USA im Travel and Leisure Magazine. Fast schon europäisch. Italien, Südfrankreich, so diese Richtung.
Natürlich gibt es Besonderheiten, die "wir" nicht aufweisen können, Hausnummer 0 zum Beispiel oder Hausnummer 30 ½. Oder Gaslaternen, die auch tagsüber brennen. Bei den wunderschönen Blumenkästen vor den Häusern (big business, meinte die Stadtführerin) fühle ich mich allerdings 'competitive', zumindest aus süddeutscher Sicht. Spannend ist die Geschichte des Sklaven Robert Smalls, der bei den Konföderierten Südstaaten (den Bösen pro-Sklaven) als Lotse in Charleston gehalten wurde. Er entführte ein Schiff der Konföderierten zusammen mit 6 anderen Sklaven und brachte es an Fort Sumter vorbei (wo "der Krieg" begann) zu den Nordstaatlern, die Charleston belagerten. Er gewann dadurch die Freiheit und wurde erst zum Kapitän ernannt, später Mitglied des US-Kongress. Daran, dass die Amerikaner ihren Sezessionskrieg 1861-1865 als DEN Krieg bezeichnen, musste ich mich auch erstmal gewöhnen. Um die Sklaverei ein wenig besser zu verstehen und um schöne Pflanzen und Tiere zu sehen, besichtigten wir eine ehemalige Sklavenplantage, die heute auf Tourismus macht, die Magnolia Plantation. Es wurde dort Reis angebaut und geerntet, das Gold von South Carolina. Die Sklaven waren Experten im Anbau dieser Reissorte, hatten sie dies doch auch in ihrer Heimat gemacht. Es machte die Plantagenbesitzer reich, da es sich wohl um eine ganz besonders edle Reissorte handelte. Die Sklaven machte es nicht nur arm, das waren sie ja schon, sondern tötete sie auch mit um die 30 Jahre, da es viele Unbilden bei der Ernte zu bestehen gab, neben der Hitze vor allem Giftschlangen, Alligatoren und Moskitos. Die Hütten, in denen sie wohnten, und die wir auf einer Tour besichtigen konnten, und die auch erst nach einigen Jahrzehnten für die Sklaven gebaut wurden (vorher wurden sie einfach so auf dem Feld gehalten), hatten zuerst gar keine Einrichtung, später kamen dann irgendwann Bettgestelle und Tische dazu.
Einfache Hütten für die Sklaven ohne Möbel. Nix drin. Schlafen auf dem Fußboden
Es ist bemerkenswert, dass nach dem Krieg, der ja zur Abschaffung der Sklaverei führte, der Reisanbau nicht weitergeführt wurde. Es fanden sich keine Erntehelfer mehr.
Interessanterweise war die Führung über die Sklavenhütten die am wenigsten Besuchte auf der Plantage, und dass, obwohl es die einzige ist, für die man nicht bezahlen muss. Wie wir gehört haben, ist das Thema Sklaven in den heutigen Südstaaten immer noch ein Ungeliebtes, man kann es nur falsch machen: redet man zu viel drüber, geht man den Leuten auf die Nerven, redet man zu wenig oder gar nicht drüber, ist man politisch nicht korrekt. Petra hat dann auf der Führung die Thematik mit einer Frage aktualisiert: nachdem der Tourführer berichtete, dass die Sklaven nach Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs bezahlt wurden, mit einem Gehalt von auf heutige Werte umgerechnet 9 Dollar pro Tag, fragte Petra, ob die Bezahlung der heutigen 'PoC's' (Person of Color) denn besser sei, denn es sind immer noch Nachfahren der ehemaligen Sklaven auf der Plantage tätig. Was zu einem etwas verkrampften Gelächter führte.
Nochmal kurz Technik
Zur Entspannung nach all der Historie und Politik nochmal ein wenig Technik. Wir dachten ja, dass nach dem langen Reparatur- und Wartungsaufenthalt in West Palm Beach erstmal Ruhe ist mit Störungen. Leider wurden wir eines Besseren belehrt: das von mir so hochgelobte Team von Alan hatte uns eine Leckage in die Spüle im Bad eingebaut (falscher Schlauchdurchmesser, Dichtung fehlte), aber da wir ja einen Klempner an Bord haben, konnten wir das ohne fremde Hilfe richten. Dann verließ uns der Lautsprecher des UKW-Funkgeräts im Cockpit, eigentlich nicht schlecht, weil die Nachtwache dadurch deutlich ruhiger verläuft, aber aus seemannschaftlichen Gründen leider inakzeptabel. Und schließlich verließ uns der Autopilot. Das ist ein ebenfalls ernstes Problem, weil wir ja bei unserem Wachsystem quasi Einhand unterwegs sind, und da wird dann z.B. ein Toilettengang zur Herausforderung bzw. unmöglich, ohne den anderen zu wecken. Glücklicherweise verabschiedete sich das System erst 60 Seemeilen vor Beaufort, unserem Ziel, so dass wir nicht zu lange Ruder gehen mussten. Dieser Fehler war uns vorerst völlig unverständlich, da wir im Zuge der Arbeiten an der Ruderanlage in West Palm Beach auch unseren brandneuen Ersatz-Autopiloten einbauen ließen. Allerdings von Alans Team...?
Ich möchte es im Interesse aller an dieser Stelle sehr kurz machen: wir fanden Jeff, er checkte alles, und reparierte alles, auch, indem er uns sein zu unserem Gerät identisches UKW-Funkgerät nebst Lautsprecher und Handset einbaute, ohne es zu berechnen. Wir sollten es ihm, wenn wir uns ein Neues beschaffen, (was er uns ans Herz legte) bitte zurücksenden. Das Autopilot-Problem konnten wir schon vorab eingrenzen, weil wir vorab eine See-Erprobung mit Kalibrierung des elektronischen Kompasses durchführten, und das System uns meldete, dass es keinen Kompass erkennen kann. Also messerscharf geschlossen, der sogenannte Fluxgate-Kompass war der Übeltäter, und Alan traf keine Schuld. Natürlich hatte Jeff exakt den Kompass-Typ bei sich im Lager. Man kann ja auch mal Glück haben. Die anschließende See-Erprobung war dann die Erfolgreichste, die ich mit Milena Bonatti je durchgeführt hatte: < 3° Abweichung zwischen GPS und Fluxgate-Kompass. Wir hoffen, dass uns die Strömung im Ashley River nicht zu diesem guten Wert verholfen hat, aber wir haben versucht, genau bei 'Slack Tide' (Stillwasser) zu kalibrieren.
Klapperschlange
Es sollte weiter gehen, von Charleston nach Beaufort, ein weiterer 230 Seemeilen-Törn mit interagierendem Multifunktionscharakter. Strömungen und Tiefgang in den Ein- und Ausfahrten der Häfen, Tiefe, Brückenhöhen, Hafenliegeplatz-Reservierung, Meldung bei der U.S. Customs and Border Protection (wir hatten Besuch dieser Herrschaften in Charleston, weil wir es bis dahin nicht gemacht hatten, aber das ist eine andere Geschichte, die Gottseidank glimpflich mit einer Verwarnung endete), Gewitter, Windrichtung und Strömungen und damit verbunden Besegelung, und schließlich auf allem basierend Abfahrts- und Ankunftszeiten. Vor allem die Frage, ob wir eine oder zwei Nächte unterwegs sein wollten, beschäftigte uns intensiver. Eine Nacht hatte Präferenz, ließ sich aber aufgrund der obigen Parameter nicht durchführen.
Ein Aspekt beschäftigte uns diesmal besonders. Auf den letzten Törns kamen wir immer wieder in die Situation, dass der Wind direkt von achtern blies, und dann auch noch mit geringer Stärke. Das mag Milena Bonatti nicht besonders, wir waren oft gezwungen zu motoren, um unsere geplante Ankunft nicht zu gefährden. Das wiederum mögen wir nicht. Die Lösung heißt entweder einen günstigen Wind oder eine geeignetere Besegelung wählen. Auf Letzteres haben wir entschieden mehr Einfluss, und nach dem Routing stellten wir fest, dass auf dem bevorstehenden Törn der Wind fast ausschließlich von achtern kommen würde. "Dann bauen wir eben die Passatsegel auf", schlug Petra am Mittwochmorgen vor. Dumm war nur, dass die Wettervorhersage für Freitagnachmittag Gewitter bei Beaufort vorhersagte, und Charles Parker uns bzw. unseren Freunden Gordon und Candace von der Caledonia vorschlug, lieber früher als später in Charleston abzulegen. Um 13:00 begannen wir mit dem Segelwechsel, um 16:00 Uhr waren wir fertig, um 18:30 Uhr legten wir ab. Das war für uns sportlich, und bei der Hitze mit einer Unmenge kaum auszugleichenden Flüssigkeitsverlusts verbunden. Auch Gordon und Candace legten zufällig zur exakt gleichen Zeit ab. Mit ihnen zusammen mussten wir natürlich den Ashley River hinunterfahren, wegen des gemeinsamen Erlebnisses. Somit musste die Überprüfung der Passatsegel mit den zwei Bäumen und ihren jeweils vier Leinen erstmal unterbleiben, die wir eigentlich noch vor der Ausfahrt in den Atlantik durchführen wollten. Und vom 'Inlet Channel' konnte man auch erst nach ca. 4 Seemeilen abbiegen, was für die Passatsegel zwingend war, um den Wind aus Süd einzufangen. Vorher gab es versteckte Untiefen, Wellenbrecher-Reste ähnlich wie in Großenbrode, nur eben viel größer (wie alles in Amerika). Es begann zu dämmern, und wir nahmen die erstmögliche Kursänderung heraus aus dem Fahrwasser,
Auf der roten Linie sind wir abgebogen - bis zu dieser kleinen blauen Fläche... Die grüne Linie mit den roten Kreuzen war unsere geplante Route!
um noch vor der Dunkelheit unsere Passatsegel aufzuspannen und das Leinengewirr zu ordnen. Das war auch gut, denn beim Aufbau hatte sich der ein- oder andere Fehler eingeschlichen. Die Sonne war schon eine Weile untergegangen, als die Segel endlich sauber standen, was immer wieder ein Erlebnis ist, denn die 80 m² am Bug machen schon was her auf unserem kleinen Bötchen. Routinemäßig warf ich nach all der Action einen kurzen Blick auf den Plotter. Was war das? Ein dunkelblauer Streifen direkt quer vor uns auf unserem Kurs, vielleicht noch eine viertel Seemeile (450 m) entfernt! Rattlesnake Shoals stand da! Das war die erste Untiefe neben dem Cape Fear (auch ein schöner Name), die ich unbedingt vermeiden wollte. "Don't tread on me!" Mir fielen diese T-Shirts ein, die viele freiheitsliebende Amerikaner tragen, und mit dem sie vermeintlich ausdrücken wollen, dass sie bitteschön weiter Waffen tragen oder benutzen möchten, wann und wo immer sie es für richtig halten. Nun haben es Passatsegel so an sich, dass man sie nur in einem Bereich von 40° vom Wind weg verwenden kann, danach schlagen sie um, was unabsehbare Folgen haben kann. Wir brauchten aber eine Kursänderung von 90°, mussten dazu möglichst die Passatsegel so weit wie es irgend geht wieder einholen. Und das alles in 450 m Strecke, was uns bei 6 Knoten Fahrt noch zweieinhalb Minuten Zeit ließ, um das zu bewerkstelligen. Ich war in Panik, Petra versuchte, Ruhe zu bewahren, und mich zur Ruhe zu bringen, was meine Panik noch leicht steigerte. "Wir dürfen nicht über die Rattlesnake Shoals fahren!", rief ich. "Wir müssen die Passatsegel ruhig und mit bedacht einholen!", versuchte Petra meine Priorität zu ändern. Beides ging irgendwie nicht, und ich begann, bei erst halb eingeholten Segeln und einer im Stress fälschlich gelösten Leine und damit schief stehendem Steuerbord-Baum knapp an der Kante des Unterwasserbergs entlang zu kurven.
die rote Linie ist wieder unser Track
Es ging aus, wie so oft: wir liefen nicht auf Grund, es ging nichts zu Bruch und Petra und ich lieben uns noch immer.
Da der Wind zuerst noch aus Süd wehte und wir mit den Passatsegeln Südwest benötigten, setzten wir erstmal das Groß und konnten so erstmal eine gute Strecke Seeraum zwischen uns und der Küste lassen. Was uns später half, mit einem beruhigenden Abstand das berüchtigte Cape Fear querab zu lassen. Am nächsten Morgen dann der bei Wetterwelt vorhergesagte Südwest. Jetzt, bei Tageslicht, war es auch sicherer, die Passatsegel zu setzen. Und dann zogen wir den Strich mit unserem Track auf dem Plotter, den wir uns gewünscht hatten: eine Linie über 140 Seemeilen wie mit dem Lineal gezogen.
Naja, Kurvenlineal. Aber ein guter Abstand zum Cape Fear!
rote Linie: wir
grüne Linie mit roten Kreuzen: vorher geplante Route
Mit gutem Speed, so dass wir schon am frühen Vormittag in Beaufort einliefen. Trotz des anfänglichen Stresses und falschen Windes, mit ein wenig Geduld und der richtigen Taktik hatten wir am Ende doch alles richtig gemacht. Wir sind wieder so richtig unterwegs.