Silentwind
20 March 2020 | Martinique, Le Marin
Alfred | Hot and too little wind
Dies ist ein technischer Beitrag. Wer also an Technik von Segelbooten nicht interessiert ist, kann ja bis zum nächsten Eintrag warten, oder lese die vorigen Artikel, falls noch nicht geschehen. Oder überspringe den Vorspann und springe gleich zum so gekennzeichneten Schluss. Wenngleich eine gewisse Affinität zu Technik auch dort hilfreich sein könnte.
Silentwind ist der Name für unseren Windgenerator, der Strom produziert. Wir haben ja fünf solcher Geräte: den Hydrogenerator, die Solarpaneele, eine Brennstoffzelle unseren Dieselmotor und eben den Windgenerator. Letzerer hat auf unserem Boot den Vorteil, dass man ihn sehr einfach an- und ausschalten kann, er vollständig regenerativ ist und damit eine sehr angenehme und einfache Möglichkeit bietet, unsere Batterien zu laden. O.k., der Wind muss ausreichend stark sein, am besten Bft. 5 oder mehr, aber das ist hier in der Karibik oft der Fall. Alle anderen vier Geräte dagegen haben weitergehende Nachteile: sie sind entweder nicht regenerativ (Motor, Brennstoffzelle) oder es erfordert einen gewissen Aufwand, sie in Betrieb zu nehmen oder zu halten (Solarpaneele, Hydrogenerator), wir berichteten mehrfach darüber.
Vorspann: um zum Clou dieser Geschichte zu kommen, muss ich leider etwas weiter ausholen (wie immer ...):
dummerweise ist uns in einer Nacht- und Nebelaktion eine Leine in die Flügel des Windgenerators geraten (bitte fragt nicht, wie das passieren konnte) und hat einen Flügel beschädigt, was zu extremen Vibrationen führte, die das gesamte Boot zum Schwingen brachten. Seitdem basteln wir an dem Gerät herum. Zweimal haben wir den Mast gelegt: Beim ersten Mal, noch in der Blue Lagoon auf St. Vincent haben wir den leicht defekten Flügel gegen einen aus der ersten Ersatzteil-Charge ausgetauscht, und die Flügel wieder so ausgerichtet, dass der Abstand der drei Flügelspitzen identisch ist, so wie es sein soll und auch im Handbuch steht. Was uns aber ebenfalls vom Silentwind-Service-Ingenieur aufgetragen wurde: niemals Flügel aus unterschiedlichen Chargen mischen. Das haben wir einfach mal ignoriert. Soll man nicht tun, da die Gewichte aus unterschiedlichen Chargen wegen der Produktionstoleranzen stark variieren, und man damit eine Unwucht erzeugt. Erschwerend kommt hinzu, dass das Windgenerator-Mastlegen und Aufstellen keine einfache Sache ist. Wir haben uns sogar Hilfe geholt (thank you, Tim and King), da man den Mast mit seinen Stützen am Relingszaun, am Steuerrad und vor allem am Achterstag vorbei bugsieren muss, ohne die Flügel zu beschädigen. Das ist uns leider nicht ganz gelungen. Wir haben beim Wiederaufstellen des Mastes einen Flügel leicht angekratzt. Ratet mal, welchen? Genau, den Neuen aus der zweiten Charge. Das Ergebnis war dann wie erwartet, Vibrationen ohne Ende. Lag es nun an dem angekratzten Flügel, der Verwendung von Flügeln aus unterschiedlichen Chargen oder einer nicht perfekten Ausrichtung der Flügelspitzenabstände? Man weiß es nicht.
Beim zweiten Mastlegen des Windgenerators nach unserer Rückkehr aus Deutschland in Port Louis standen wir dann vor der äußerst schwierigen Entscheidung, einen neuen Flügel aus Charge 2 mit zwei alten Flügeln aus Charge 1 zu mixen (Variante 1), oder den inzwischen mit 1000er Schmirgelpapier ausgebesserten neuen Flügel zusammen mit zwei weiteren Flügeln der neuen Charge einzusetzen, also keinen Chargen-Mix zu machen (Variante 2). Wir haben den leicht angedengelten neuen Flügel nochmal gegen einen weiteren Neuen aus Ersatzteil-Charge 2 getauscht, um sicherzustellen, dass alle Flügel unbeschädigt sind, also Variante 1. Das war ein Fehler, schreckliche Vibrationen ließen das Schiff erzittern. Immerhin wussten wir jetzt, dass es nicht an einem angekratzen Flügel lag, sondern nur noch entweder an dem Chargen-Mix oder schlechter Abstandsjustierung. Auf unseren Törns von Grenada nach Carriacou und Carriacou nach Mustique und Mustique nach Martinique mussten wir also ohne Windgenerator operieren, was während des Wassermachens dann zum Verbrennen von Diesel führte. Die arme Umwelt! Einen Dieselmotor zu betreiben so ganz ohne Partikelfilter und DeNOx-Kat, sollte man doch vermeiden, wenn irgend möglich! Aber trinken müssen wir ja auch, und der Wassermacher benötigt recht viel Energie, die nur durch Solar und Hydrogenerator (bei langsamer Fahrt oder wenig Sonne) nicht immer zur Verfügung gestellt werden können.
All unsere Hoffnung ruhte nun auf den Yachtausrüstungsgeschäften auf Martinique. Dort sollte es laut Internet eine Silentwind-Vertretung geben, bei der wir einen dritten Satz Flügel beschaffen könnten. So wollten wir dem Chargen-Mix-Fehler endgültig den Garaus machen. Auch hatte ich eine Eingebung, dass man die Platte, auf der die Flügel befestigt sind, nicht über Mastlegen abschrauben könne, sondern über eine Leiter, was den ganzen Vorgang der Flügeloptimierung deutlich vereinfachen würde.
Hier kommt der Schluss der Geschichte (für diejenigen, die den Vorspann übersprungen haben):
Ja, es gibt auf Martinique in Le Marin einen feinen kleinen Elektronikladen. Und ich war noch rechtzeitig vor den großen Maßnahmen - Shopschließung, Ausgangssperre - zu Corona dort, der Shop hatte am Freitag, den 13.3. noch geöffnet.
Ich berichtete dem Fachmann dort - wir nennen ihn mal Monsieur Diginav - über meine Erfahrungen und Probleme mit dem Silentwind-Generator. Als ich vom Mastlegen sprach, zog er eine Augenbraue merkwürdig hoch: "What a nonsense", meinte er. "You can use a ladder!" "But I need only a very short one!" antwortete ich, denn ich hatte vor, die Leiter auf den Heckkorbsitz zu platzieren. "Then your Silentwind is not placed high enough, you should not be able to touch the wings from the bottom." Er verschwand in einem Nebenraum und kam nach kurzer Zeit mit einer ca. zwei Meter langen Leiter wieder heraus. ""That's too long", meinte ich. Und jetzt kam trat sein Humor das erste Mal offen zu Tage :"I can cut it for you". Nach einem kurzen Erfahrungsaustausch ("I have set up hundreds of windgenerators with it...") konnte Monsieur Diginav mich schnell von der korrekten Länge der Leiter überzeugen. Er wollte sie mir leihen, und ich sollte sie am Montag zurückbringen. Prima.
Dann erzählte ich ihm von meiner Handbuch-Justiermethode der Abstandsdistanz der Flügelspitzen. "You can do that, but it's not enough. It will not work!" Aha, jetzt wurde es spannend, denn genau wie bei der Verwendung der Leiter konnte ich ihm auch hier nur zustimmen. Er hielt mir einen Vortrag, wie die Flügel montiert werden. Einfach auf der Druckseite den Anschlag des Flügels ohne Spiel vormontieren, dann mit einer weiteren Drittel-Umdrehung die Schrauben festziehen. Gut.
Des Weiteren erläuterte er mir die Prozedur, falls man Flügel aus unterschiedlichen Chargen gemeinsam verwenden möchte. Das würde jetzt hier zu weit führen, eine ähnliche Methode hatte uns schon Dietmar aus Clarkes Court Bay Marina erläutert, ein Deutscher, der seit 20 Jahren auf Grenada an Schiffen herumbastelt ("Ask Dietmar, he knows everything"). "This method is very difficult for me," meinte Monsieur Diginav. "What about for me?" fragte ich, obwohl ich mir die Antwort schon ausmalen konnte. "Impossible." O.k., schon war ich mit 329 € für inzwischen mein zweites Ersatz-Flügelset dabei. This is quite expensive and moreover, how can a three-wing set not be divided by three?" versuchte ich ein wenig verzweifelt zu handeln. "My dear friend", sagte Monsieur Diginav. "First of all, I cannot give you a discount on these wings, since they came from Portugal and freight and customs costs are high. Secondly, I borrow you a ladder and finally I gave you a lecture, in fact two lectures on silentwind, that are in itself several hundred Euros worth since without those lectures you will buy several more sets of wings before you solved the problem!" Wo er recht hat, hat er recht. Mir blieb noch, ihn für seinen unnachahmlichen Humor zu gratulieren, ich schnappte mir die Leiter und das neue Flügelset und machte mich auf zurück zum Boot, voller positiver Energie und höchster Erwartungen.
Die Leiter passte hervorragend. Die Flügel ließen sich leicht montieren. Ich wollte erstmal noch die von mir fein säuberlich geschliffene leicht zerdengelten Flügel aus der ersten Ersatzcharge ausprobieren, ich hatte eine Kante wirklich nur ein wenig glatt geschliffen. So waren jetzt alle Flügel aus einer Charge und ich konnte die auf-Anschlag-ohne-Spiel-Methode ausprobieren. Schnell alles wieder zusammengeschraubt, hoch auf die Leiter, Flügellatte samt Flügel angeschraubt und - kein Wind. Ich konnte mein Werk nicht testen. Ich musste bis Sonntagabend warten bis ein paar Böen anzeigten, dass der Windgenerator ruhig und ohne Vibrationen lief. Ich war glücklich. Und hatte noch ein vollständiges jungfräuliches Ersatzteilset. Wunderbar.
Am Montagmorgen den 16.3. brachte ich die Leiter zurück. Ich hatte auch noch eine Frage zum Windgenerator, und freute mich schon auf Monsieur Diginav, voller Erwartung auf überraschende Antworten. Der Shop war geschlossen, aber als ich mit der Leiter vor der Tür auftauchte, drehte jemand einen Schlüssel um und sagte barsch:"Put it here and go out. We are closed!"
"I have a question to Monsieur Diginav," versuchte ich noch anzubringen. Man bedeutete mir, dass wegen Corona alle Shops geschlossen seien, ich aber telefonisch meine Frage stellen könne.
Was ich etwas später auch tat. "Monsieur Diginav, I have another question to my Silentwind." Und sie kam, die Antwort: "The question is, if I will survive. You have to set the right priorities." Und wieder konnte ich ihm nur zustimmen: "Someone with such a sense of humour must and will survive, I am sure." Die eigentliche Frage hat er mir dann sogar auch noch beantwortet. Gute Leute muss man treffen.