Bahnhof - wie bestellt und nicht abgeholt
30 March 2020 | Martinique, Le Marin
Petra und Alfred | windy and sunny (28-30 Celsius)
Wie fühlen uns so wie auf dem Bahnhof und der Zug kommt nicht. Trotzdem geht es uns sehr gut hier - wir haben eine tolle Auswahl an Nahrungsmitteln. Es gibt sowohl einheimische so wie Ananas, Melonen, Tomaten, Papayas als auch Milchprodukte und sogar Schokolade. Aus Frankreich kommen Leckereien wie Camembert. Trotz der Ausgangssperre dürfen wir 1 km um unser Zuhause herum Spaziergänge machen. Das nutzen wir aus und dehnen den einen Kilometer meist auf 2 km aus, um auf unseren Lieblingshügel zu wandern, morgens vor dem Frühstück, damit es nicht so heiß ist. Es ist wunderschön und es scheint so als würden wir die kleine Freiheit mehr zu schätzen wissen als die unbegrenzte Freiheit, die wir vor der Corona-Epidemie hatten. Bei unseren Wanderungen achte ich (Petra) mehr und mehr auf die Details, darauf, wie viele Mangobäume es gibt, welche unterschiedlichen Mangoarten es in welchen Gärten gibt. Immer öfter sehen wir mehr von dem grün-blau schimmernden Gefieder der Kolibris, die so schnell sind, dass man sie selten genauer betrachten kann. Sie flitzen von Blüte zu Blüte und von einem Busch zum nächsten Baum.
Gleichzeitig informieren wir uns mithilfe der digitalen Medien über die Lage der Welt und verbringen relativ viel Zeit damit. Außerdem schreiben wir unseren Familien und Freunden mehr und telefonieren öfter als vorher. Genau wie alle anderen wollen wir wissen, wie es allen geht, wie sie mit der Situation zurechtkommen und ob sie gesund sind. Meine (Petra) Kinder, Carlo und Vivi, sind recht kreativ, spielen Spiele und kochen tolle Rezepte zusammen. Carlo und Anja haben sogar einen Livestream aus "Carlos Kochstudio" aufgenommen, in dem er zeigt, wie er Kekse backt.
Wir sind aber auch mit Alltäglichem beschäftigt - waschen Wäsche, kochen, kaufen ein, waschen uns und auch das Boot. Das Boot haben wir schon teilweise poliert und gewachst. Fast alle Roststellen an den Edelstahlteilen sind entfernt. Morgen holen wir das Vorsegel herunter und bauen die Rettungsringe ab. Es gibt auch einige kleine Wartungsarbeiten und Reparaturen wie die Motorwinsch zu warten, Ölwechsel und die Ruderanlage einzustellen (die Steuerseile schleifen etwas am Ruderquadranten). Alle, die ein Boot oder ein Haus haben, wissen, dass die Arbeiten daran nie enden.
Ein besonderes und schönes Erlebnis war der Geburtstag von Annemarie letzten Freitag, an dem wir auf dem Steg und auf dem Boot zwei Lieder vorgetragen haben. Alfred hatte dazu die Ukulele aus der Achterkoje geholt. Zwei Tage wurde geübt und dann spielten und sangen wir Happy Birthday und Over the Rainbow. In gebührendem Abstand gab es dann einen kleinen Umtrunk auf der Escape - was für ein schöner Abend mit Annemarie und Volker.
Jetzt ist die Frage, wie es weiter geht. Alfred hatte in dem Post "Oh wie schön ist Martinique" unsere ursprünglichen Pläne A-D zu Beginn der Corona-Epoche erklärt. Nun ist uns klar geworden, dass wir nicht mehr nach New York segeln können. Die Lage dort ist dramatisch und wird sich wahrscheinlich nicht so schnell verbessern. Das wäre Plan A gewesen. Plan B entfällt auch, weil unsere jetzige Versicherung das Boot in der Hurrikan-Saison (Juni-November) weder in Trinidad noch in Venezuela oder Kolumbien versichert und bis jetzt trotz der besonderen Umstände keine Ausnahmen machen will, obwohl es andere Versicherungsunternehmen gibt, die eine Extra-"Named"-Hurrikanversicherung anbieten. Ob wir Plan C und D (in der Karibik bleiben, hier herumsegeln und evtl. eine sehr kurze Zeit nach Deutschland fliegen) verwirklichen können, hängt davon ab, ob irgendwelche Länder ihre Grenzen öffnen. Falls das in den nächsten 2-4 Monaten nicht der Fall sein sollte, könnten wir eventuell zu den Azoren segeln, nach Portugal oder nach Deutschland. Falls wir das Boot in den Azoren oder in Portugal liegen lassen könnten, wäre es nicht wieder so eine lange Strecke zu segeln, wenn wir dann wieder über den Atlantik zurück segeln wollten.
Es haben sich in der letzten Woche mehrere WhatsApp-Gruppen gebildet, die sich über die Möglichkeiten der Segler in der Karibik austauschen, eine "Sailing-Home"-Gruppe Germany (ca. 184 Teilnehmer) und eine internationale Gruppe. Die meisten der Germany-Gruppe wollen Mitte April und Mitte Mai in Flottillen zurück nach Deutschland segeln. Es wurde auch schon eine Petition an das Auswärtige Amt geschickt und um Unterstützung bei der Heimreise gebeten. Es gab auch noch andere sinnvolle Ideen - zwei Paare haben sich zusammen getan, sie teilen sich die Kosten für einen Rücktransport des einen Bootes per Frachter und segeln das andere Boot zu viert zurück. Eine Möglichkeit, über die wir auch schon mit anderen Seglern gesprochen haben.
Zusammenfassend kann man sagen, dass unsere zwei wichtigsten Ziele sind:
- gesund zu bleiben
- das Boot in Sicherheit zu bringen