Sea Trial
09 November 2022
Petra
Erstaunlich, wie schnell man in einer ganz anderen Welt landen kann - 9 Stunden dauert es von Europa in die USA - einem Land der Extreme. Gestern waren Midterm-Wahlen - es sieht düster aus für die amerikanische Demokratie. Wenigstens wählt Maryland, der Staat, in dem wir sind, demokratisch. (Zitat einer Restaurant-Wirtin aus der SZ: "Die USA sind keine Demokratie. Wir leben in einer repräsentativen Verfassungsrepublik, und wir wollen keine Demokratie." US-Wahlkampf - Die zerrissene Heimat von Joe Biden, Fabian Fellmann)
Welcome back
Ja, ich bin wieder da - was für einen schönen Empfang ich hatte - Alfred holte mich mit einer Rose und einem "Welcome Back"-Ballon am Flughafen ab. Am nächsten Tag war noch viel zu erledigen, weil es der letzte Tag war, an dem wir den Mietwagen hatten: Einkaufen und den Mietwagen wegbringen. Den Tag danach sollte es zum sea trial gehen, also einer Segeltestfahrt. Milena hat neue Segel bekommen und die wollten wir zusammen mit dem Segelmacher ausprobieren. Wir wollten außerdem die neuen Navigationsinstrumente testen und bald planen, wie und wann es weitergeht, zu den Bahamas Richtung Panama, in die Wärme, weil es hier langsam immer kälter wird-
Vorbereitung
Es war ein wunderschöner sonniger Tag und es gab sogar guten Wind, 12-18 Knoten. Nach dem Frühstück merkten wir jedoch, dass die Zeit knapp war, um das Boot vorzubereiten, bis Clarke, der Segelmacher kommen sollte. Irgendwie spürten wir, dass wir noch nicht die Routine hatten wie vor unserem Deutschlandbesuch. Schnallen oder Schränke, die sonst immer auf die gleiche Weise funktionierten, ließen sich nicht öffnen. Anderes klappte ganz gut. Durch die vielen Arbeiten am Boot hatte sich einiges verändert, aber einiges auch nicht (trotzdem funktionierte es nicht).
Unerwartetes Wiedersehen
Zum Glück kam Clarke etwas später - wie immer war er entspannt und witzelte herum. Leinen los und schon schipperten wir den creek hinunter zum Patuxent River. Segel wurden gesetzt und wir glitten dahin - wie schön weiß die neuen Tücher im Sonnenlicht leuchteten - wie in der Persilwerbung! Bald nahm der Wind zu und wir refften. Hier und da passten Reffleinen nicht perfekt und die Schoten des Vorsegels passten nicht vor die Wanten, weil Clarke den Schnitt des Segels verändert hatte, damit es nicht vorne am Bugkorb hängen bleibt. Dieses Problem war gelöst, dafür gab es dann mit der Höhe des Schothorns Probleme. Nun ja, nichts ist perfekt, trotzdem sah Clarke ein, dass er das Segel noch ändern muss. Sonst hatten wir ungewöhnlich viel Wind im Vergleich zu den letzten Tagen und konnten wunderbar segeln. Alfred und ich fragten uns, ob Clarke bei so viel Wind den neuen Code 0 testen würde - uns war etwas mulmig zumute. Plötzlich kommt der Funkspruch auf Kanal 16: "Milena Bonatti, Milena Bonatti - this is Caledonia". Oh, unsere Freunde, Candace und Gordon, waren in der Nähe! Sie hatten uns schon geschrieben, dass sie heute von Annapolis Richtung Hampton segeln würden, aber dass wir sie treffen würden, haben wir nicht erwartet. Gordon beschrieb uns noch ihre Position und wir machten eine Wende und segelten auf sie zu - sie drehten kurz vor uns eine Runde - wir riefen uns zu und winkten - Candace fotografierte uns und unsere neuen Segel und schon fuhren sie weiter Richtung Süden. Da die beiden nur an Wochenenden Zeit haben zu segeln und in der Woche arbeiten, müssen sie die knappe Zeit nutzen, um an ihre Ziele zu gelangen. Schade. Wir hoffen aber auf ein Treffen auf dem Weg nach Florida.
Der Monster-Code 0
Eigentlich wollten wir den Gennaker loswerden und einen Code 0 haben, weil dieser kleiner und leichter sein sollte. Leider hatte Clarke uns bei dem Beratungsgespräch davon überzeugt,für den Code 0 einen festeren Stoff zu nehmen, weil das Segel dann eingerollt und vor dem Vorstag stehen bleiben konnte. Einen Code 0 mit dünnerem Tuch muss man immer wieder herunterholen, weil er sich eingerollt immer leicht wieder öffnet. So, und nun hatten wir dieses riesige und schwere Code 0-Paket auf unserem Boot - der Segelsack war doppelt so lang und schwerer als der Gennaker - wohin damit?! - und Clarke wollte ihn unbedingt an unserem Segeltesttag bei 18 Knoten Wind ausprobieren. Wir segelten wieder tiefer in die Flussmündung hinein, weil wir dachten, es wäre dort etwas windgeschützter. Leider hatten wir genauso viel Wind, aber Clarke begann den Code 0 aufzubauen - schon öffnete er sich und entfaltete seine unheimliche Kraft - das Boot wurde immer schneller - wir fuhren 8 Knoten, dann 9. Plötzlich kam eine Böe und wir krängten immer weiter - Alfred steuerte fast auf einen Sonnenschuss (kurz vor einer Kenterung) zu, dann bekam er das Steuer noch rechtzeitig in die richtige Richtung gedreht, um den Druck aus dem Code 0 herauszunehmen - puh! Clarke war die Ruhe in Person, wir waren leicht gestresst von dem Erlebnis, holten den Code 0 ein und fuhren zurück in den Hafen. Clarke stimmte uns dann zu, dass wir zwei den Code 0 wohl eher nicht bei 18 Knoten nutzen würden. Das war ein spannender Sea Trial.
Boots-Tetris
Als wir alles wegräumten, wussten wir nicht wohin mit dem riesigen Code 0 - ich hätte ihn am liebsten umgetauscht gegen einen leichteren. Alfred behauptete, wir würden niemals alles in die große Backskiste bekommen und suchte schon nach Möglichkeiten, das Dinghy oder den Code 0 auf dem Deck festzubinden. Es nützte aber nichts, wir mussten es ausprobieren - am nächsten Tag packten wir zwei Backskisten komplett aus, verlagerten einiges, warfen einiges weg wie alte Leinen und schafften es schließlich, das Dinghy, den Code 0 UND die Fahrräder in der großen Backskiste zu verstauen - herzlichen Glückwunsch!